Der Bau des Arsenale
wurde um 1100 begonnen. Diese Werft gilt als größter Produktionsbetrieb Europas
vor dem Zeitalter der Industrialisierung.
Im Zuge des Aufstiegs Venedigs zur europäischen Seemacht
wurde das Arsenale mehrmals erweitert.
Das Arsenale enthielt neben den
Schiffsbecken, den Schreinereien, den Kalfateranlagen und einer langen
Seilhalle, in der die Schiffstaue gedreht wurden, auch Erz- und Gießhütten
sowie Pulverlager und das
Waffendepot, was eine strenge Überwachung der
Belegschaft durch die venezianische Sicherheitspolizei nötig machte.
Das Arsenale
arbeitete außerordentlich effizient. Bereits Im 14. Jahrhundert erfolgte die
Produktion der Galeeren in streng rationalisierten Arbeitsabläufen. Jedes
Handelsschiff war so konstruiert, dass es in kürzester Zeit zu einem
Kriegsschiff umgebaut werden konnte.
Die Bestandteile für die Galeeren waren genormt, wurden
vorgefertigt und im Depot gelagert, so dass in kürzester Zeit 25 Schiffe
einsatzfertig gemacht werden konnten. Im Krieg gegen die Türken wurden im
Arsenal im Jahre 1570 innerhalb von zwei Wochen 100 Galeeren gebaut.
Diese Effizienz war nur durch eine straffe Organisation
möglich. Oberste Leiter des Arsenals waren stets für eine befristete Zeit
gewählte Mitglieder des Großen Rates. Sie wohnten in drei palazetti, die
Paradiso, Purgatorio (Fegefeuer) und Inferno (Hölle) hießen. Es gab eine
Vielzahl von Handwerkern wie Schiffszimmerleute, Pecher (Kalfaterer),
Mastenkonstrukteure, Segelmacher, Schmiede, Gießereiarbeiter sowie für das
Schießpulver und die Bewaffnung. Die Arbeiter waren in Zünften organisiert. Sie
waren sehr angesehen, wurden gut entlohnt und genossen eine Reihe von
Privilegien, um ein eventuelles Abwandern zur Konkurrenz zu verhindern. Es wurde
ihnen auch Wohnraum zur Verfügung gestellt.

Lange stand der frühere
Rüstungsbetrieb,
der militärisches Sperrgebiet war, leer. Das
Arsenale begann zu zerfallen.
Im Jahre1999 fand anlässlich der 48. Biennale
eine große Rettungsaktion für das Arsenale
statt. Umfangreiche Restaurierungsarbeiten wurden durchgeführt. Das Gelände
bietet insgesamt 17.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.
Zusätzlich gibt es mehr und mehr Ausstellungsorte in der
ganzen Stadt verteilt - in Kirchen, Palazzi, scuole und aufgelassenen
Werkshallen - die Zahl der teilnehmenden Nationen nimmt ständig zu.
Quellen:
Wikipedia, art
spezial Biennale Venedig
Nun kommen wir zu Arthur Bispo do Rosário, der Auslöser für die Reise zur diesjährigen Biennale. Im Juni wurde in ttt ein kurzer Beitrag über die Biennale gezeigt und ein noch kürzeres Schnipselchen Film über Arthur Bispo do Rosário.
Spontane Reaktion: da muss ich hin!
Arthur Bispo do Rosário schuf den allergrößten Teil seiner Werke in den
50 Jahren, die er von 1938 bis zu seinem Tod in der psychiatrischen
Klinik
Colônia Juliano Moreira in der Nähe von Rio de Janeiro
interniert war. Dort vollzog sich ein künstlerischer Weg von ungeheurer
Intensität und Freiheit, der eines der wunderbarsten Œuvres in der
brasilianischen Kunst hervorbrachte. Darin verbinden sich
autobiografische Elemente und Kreativitität.
Der blaue Faden, den
Bispo do Rosário für seine Stickereien verwendete, entnahm er den
Uniformen des psychiatrischen Krankenhauses. Eine kritische Analyse
belegte,dass er den Schutz und die stabilen Verhältnisse in dem Asyl nutzte, um sich seiner schöpferischen Leidenschaft zu widmen.
Seine
Arbeiten sind ein Ausdruck dessen, wie er das Universum wahrnahm. Zum
Beispiel nummerierte er unendlich alle Personen, die ihm begegneten, und
bezog in seine Werke jedes Element ein, mit dem er in seinem Alltag zu
tun hatte.
Die Arbeiten belegen seinen Glauben an Gott, ohne auf Kritik an dogmatischen Positionen zu verzichten, was in hunderten, obsessiv in Stickereien ausgeführten Texten zum Ausdruck kommt.
Aus dem Short Guide der 11. Biennale Lyon, 2011, Frankreich.
Kuratorin: Victoria Noorthoorn
Aus dem Englischen: Haupt & Binder
Vorbereitung auf die Ewigkeit
Aus einem Gespräch der Autorin mit Wilson Lázaro im November 2008.
Author: Katrin Bettina Müller
culturebase@hkw.de
In den letzten Jahren geriet Arthur Bispo do Rosário zu einem heißen Exportschlager der Kunst aus Brasilien. Dabei hat Rosàrio, der 50 Jahre lang in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses in Rio de Janeiro lebte, sich selbst nie als Künstler verstanden:
Mit seinem Werk wollte er einen spirituellen Auftrag erfüllen. Bispo do
Rosário war ein Autodidakt und in seiner Arbeit auf die Materialien
seiner Umgebung beschränkt,
aber in seinen Stickereien und Assemblagen finden sich viele Konzepte der Moderne wieder.
Das Werk Arthur Bispo do Rosários ist nicht von seiner persönlichen Geschichte zu trennen. Er
gehörte
zu den Außenseitern, die sich selbst nicht als Künstler sehen, sondern
ihr Werk als persönlichen Auftrag begreifen.
Die Verbindung zur
Kunstwelt haben in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts
andere für ihn hergestellt, wie etwa die brasilianische Künstlerin Lygia
Clark oder Frederico Moraes,
der 1989 Rosários erste Ausstellung in
Rio de Janeiro organisierte. Gleichwohl sorgt das Museu Bispo do
Rosário Arte Contemporana in Rio, das seit 2000 sein 802 Arbeiten
umfassendes Werk verwaltet, für einen Rahmen, der die Parallelen
zwischen dem individuellen Kosmos Bispo do Rosários und den
Kunstkonzepten der Moderne vom Surrealismus bis zur inszenierten Fotografie aufzeigt.
Geboren
1911 (anderen Quellen zufolge 1909) in Japaratuba, Sergipe an der
Ostküste Brasiliens, arbeitete Bispo do Rosário zunächst als
Schiffsjunge, Signalgeberin der Marine und als Boxer. 1933 wegen
Aufsässigkeit entlassen, schlug er sich in Rio de Janeiro fünf Jahre
lang mit Jobs in Elektrizitätswerken,Hotels und als
Hausangestellter durch, bis er 1938 erstmals in psychiatrische Betreuung
kam. Er hielt sich für den Heiligen Joseph, dem Jesus begleitet von
blauen Engeln erschienen war.
Im Krankenhaus Colinia Juliano Moreira
begann er, einem göttlichen Auftrag folgend, kreativ zu arbeiten. Seine
Werke
wucherten bald über einen ganzen Gebäudetrakt. Er verbrachte
dort die nächsten 50 Jahre bis zu seinem Tod und bereitete sich mit
allem, was er tat,und allem, was er herstellte, auf das Jüngste Gericht vor.
Ein
wichtiges Element seiner Werke ist die Sprache: Er stickte seine
Botschaften auf Stoffe, die er dort, wo er lebte, erhalten konnte:
Betttücher, Tagesdecken, alte Uniformen, Anstaltskleidung. Dass
Männer sich mit der langsamen und meditativen Arbeit befassen, entsprach
einer Tradition in seiner Heimatstadt Japaratuba: Dort sind es die
Männer, die die Banner und Kostüme für die Prozession der Madonna
sticken. In dieser handwerklichen Technik drückte sich Bispo do Rosário mit großer Sicherheit aus, er brauchte weder Entwürfe noch Vorzeichnungen.
Seine
Texte sind vielfältig. Es gibt Gedichte, aber auch Werbetexte für
Bibeln, die mit der überaus ironischen Feststellung enden „aber selbst
mit Bibel ist man
verlassen in der Psychiatrie“. In anderen Texten
kommentiert er das Zeitgeschehen oder erzählt von einer unmöglichen
Liebe. Die gestickten Buchstaben, oft groß und deutlich ausgeführt,
erinnern dabei in ihrer ornamentalen Pracht an die Inkunabeln
mittelalterlicher Buchkunst. Ebenso hat dieVielseitigkeit der
Stoffe, die mal ein kleinteiliges, farbenprächtiges Patchwork bilden,
mal so groß wie die Decken sind, etwas vom Charakter der arte
povera, der kein Stofffetzen zu gering ist, um nicht mit einer Geste der
Demut und einem symbolischen Gehalt belegt zu werden.

Bispo do
Rosário schrieb nicht nur auf Stoffen, sondern auch auf Papier, Pappe
und Holz, baute Stellagen für seine Inventare aus unzähligen Tafeln. Namenslisten,
Zahlenkolonnen, Ordnungsystemen: So arbeitete er ständig an einer
Katalogisierung des eigenen Lebens. Damit setzt ihn Valerie Smith, die
ihn 2008 als Kuratorin der Ausstellung „Rational / Irrational“ im
Haus der Kulturen der Welt das erste Mal in Deutschland ausstellt, mit
den Konzepten der Hamburger Konzeptkünstlerin Hanne Darboven in
Beziehung: Deren Werk tritt dem permanenten Verstreichen der Zeit mit
Systematiken des Festhaltens entgegen.
Seine Vergangenheit als
Boxer und vor allem sein Leben als Seemann tauchen in Bispos Bildkosmos
vielfach auf. Er entwarf ganze Topographien Brasiliens und besetzte
sie mit detailreich ausgestatteten, gestickten Schiffen, aus denen
kleine silberne Ankerketten baumeln.
Die Materialien dienten ihm fast
immer als
Grundlage einer Umdeutung: Er baute Betten mit seidenen
Kordeln zu Himmelsfahrzeugen und Fahrräder zu Glücksrädern um, legte
Assemblagen aus Knöpfen, Besen, Tassen, Löffeln, Gummistiefeln und
Flaschen an. Manchmal verband er unterschiedlichste Dinge wie in einem
fahrbaren Marktstand.
Viele Elemente seiner Werke sind farblich komponiert, leere Flaschen etwa sind mit farbigen Papierschnipseln gefüllt.
So
bestickte er auch Jacken und machte sie zu Zeremonialgewändern. Es gibt
32 Fotografien, auf denen er diese Kostüme vorführt. Wie Wilson Lázaro,
Kurator des Museu Bispo do Rosário Arte Contemporana, betont, wies
er die Fotografen dabei sehr genau an, wie er aufgenommen werden sollte.
Wilson
Lázaro weiß auch, dass Arthur Bispo do Rosário die meiste Zeit seiner
Jahre im Krankenhaus einen Schlüssel besaß und damit einen
Ausnahme-Status unter den Insassen genoss. Die Anstalt funktionierte
für ihn als ein Schutzraum, in dem er in Ruhe seiner Sache nachgehen
konnte. Trotzdem bei ihm eine
paranoide Schizophrenie diagnostiziert
wurde, kamen die „harten“ Therapien seiner Zeit bei ihm nicht zur
Anwendung. Tatsächlich beanspruchte er die Dienste anderer
Patienten, des Personals und der Besucher der Anstalt, zum Beispiel bei
der Materialbeschaffung. Sein Auftrag, die Vorbereitung auf das Jüngste
Gericht, verlieh ihm eine Autorität, der andere sich zu fügen hatten.
Er entschied, wer sein Werk sehen durfte. Deshalb beinhaltet sein künstlerisches Werk, das eigentlich eine gigantische Einheit, eine fortgesetzte Akkumulation bildet, auch performative Akte.
Von
hier lassen sich viele Linien zu den Ready Mades der frühen Moderne
ziehen, den Assemblagen, die Fernandez Arman in den sechziger Jahren
anlegte. Das erklärt, warum die Kunstwelt sich für den Autodidakten,
der sich für sie nicht interessierte, begeistern konnte. Aber auch sein
Rückzug, seine
Konzentration auf sein Werk, das er unabhängig von
den Erfolgen und Misserfolgen der „Welt da draußen“ schuf, verleiht ihm
bis heute eine besondere Aura. Sich als Künstler nicht über eine
Position am Kunstmarkt zu definieren und unabhängig vom Kunstbetrieb zu
agieren, ist eine selten gewordene
Tugend. Gerade um derentwillen
öffnet sich der Kunstbetrieb von Zeit zu Zeit Außenseitern wie Arthur
Bispo do Rosário, die einen unberührten Schöpferbegriff verkörpern.
So
kam Bispo do Rosário 1995 auf die Biennale in Venedig. Seit Beginn der
neunziger Jahre waren seine Arbeiten in vielen Gruppenausstellungen in
Brasilien zu sehen, 2003 erhielt er eine Soloshow im Jeu de Paume in Paris.