Sonntag, 20. Januar 2013

Wie wir arbeiten

Heute wollen wir Ihnen mal einen Einblick in unsere Werkstatt und den tieferen Sinn hinter unserer Arbeit gewähren!

Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, ein besonders interessantes Mustertuch aus dem reichen Fundus einer Privatsammlung zu erstehen. Hier ist es:


Es ist ein französisches, eventuell ein belgisches Tuch aus dem späten Biedermeier, ca. 1840. Heute präsentiert sich das Tuch in einem blassen Altrosa, es hat nicht mehr die reiche Farbigkeit der hohen Biedermeierzeit um 1825. Außerdem wirken die einzelnen Motive, insbesondere die ausdifferenzierten Blumensträuße in der Draufsicht leicht angeschrägt, so dass eine Dreidimensinalität vorgetäuscht wird, eine Methode, die um 1850 mit der Berliner und Wiener Wollstickerei ihre eigentliche Ausprägung erfährt.
Und hier noch ein paar Details aus dem Tuch:







Die Motive sind auf feinstem 28er Leinen über zwei Gewebefäden gestickt, unfassbar fein. Ein Nachteil aus heutiger Sicht ist sicher der Eindruck der Unfertigkeit und die etwas wahllose Anordnung der Motive.

Um eine qualitätvolle Vorlage zu erstellen, geben wir Stich für Stich in den PC ein, was ein mühseliges und langwieriges Unterfangen ist.



Das Programm ermöglicht einem am Ende die Übersicht über das gesamte Mustertuch, so dass man den Gesamteindruck noch einmal überprüfen kann.




Und das haben wir aus unserem Original gemacht:



Wie Sie sehen, haben wir die Muster neu angeordnet, um ein harmonisches Erscheinungsbild zu erzeugen. Da wir weder von der Originalfarbe noch von den Motiven abgewichen sind, würden wir dieses Mustertuch immer noch als Replik bezeichnen! Allerdings haben wir ein kleines verräterisches Motiv in dieses Mustertuch hineingeschmuggelt, um es zu individualisieren und um es als unsere Arbeit zu kennzeichnen. So kann man wie bei den alten Mustertüchern erkennen, wer wo abgestickt hat und wie die Muster wandern. Das Motiv passt weder stilistisch noch von der Zeit in das Tuch hinein! Wer findet heraus, um welches Motiv es sich handelt?

Und hier noch ein Wort zum Sticken von Repliken. Das Sticken von Repliken ist eigentlich etwas total Ahistorisches. So schön es ist, eine Replik zu sticken, auch wir haben Repliken zum Nachsticken in unserem Programm, so wenig entspricht es doch der Geschichte der Mustertücher. Das Sticken von Repliken kommt eigentlich erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auf. In all den Jahrhunderten zuvor finden wir unter den abertausenden Stickmustertüchern, die sich erhalten haben, nicht zwei gleiche. Es wurde eben nicht einfach abgestickt, sondern die Muster wurden immer wieder neu zusammengestellt, weiterentwickelt und abgewandelt. Nur so konnte die Vielfalt entstehen, der wir heute staunend gegenüberstehen. Waren die Stickerinnen vergangener Jahrhunderte so viel kreativer als wir heute?
In diesem Sinne versuchen auch wir zu arbeiten, ohne Kenntnis des Vergangenen kann man nichts Neues erschaffen. Aber wir leben nicht mehr in der Barockzeit, Stil und Geschmack ändern sich mit der Zeit. So versuchen wir die alten Muster neu zu gestalten und neu zu interpretieren. Nur so leben sie weiter und geraten nicht in Vergessenheit!

Am besten drückt das ein Sinnspruch aus, den ich bei Herta Wilk in ihrem Buch über Siebenbürger Webmuster gefunden habe:
"Lasset uns am Alten, so gut es ist, halten
Doch auf altem Grund Neues wirken jede Stund."

In diesem Sinne wünschen wir allen unseren Lesern einen schönen Sonntag.


0 Kommentare

Kommentar veröffentlichen